Rot-grüner Koalitionsvertrag: Was bringt er für die Flüchtlingspolitik?

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Nun liegt der rot-grüne Koalitionsvertrag auf dem Tisch, ohne dass es grundlegende Verbesserungen für Geflüchtete in Hamburg oder gar ein Landesaufnahmeprogramm insbesondere für Menschen aus dem Schreckenslager Moria auf Lesbos gibt. „Die Grünen waren mit dem Versprechen angetreten, hier ein klares Signal für mehr Menschlichkeit zu setzen und müssen nun kleinlaut eine SPD-Politik mittragen, die sich darauf zurückzieht, dass die humanitäre Aufnahme in den Händen von Horst Seehofer (CSU) liegt“, kritisiert Carola Ensslen, flüchtlingspolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE in der Hamburgischen Bürgerschaft. „Die Bezeichnung Hamburgs als solidarische Stadt und sicherer Hafen bleibt vor dem Hintergrund eine inhaltsleere Floskel.“

Für das so genannte Ankunftszentrum in Rahlstedt hatten die Grünen versprochen, dass der Aufenthalt dort deutlich verkürzt werden sollte. Nun heißt es im Koalitionsvertrag, der Aufenthalt solle „die Dauer von drei Monaten möglichst nicht überschreiten“ und es solle geprüft werden, ob die dortigen Aufenthaltsbedingungen abgemildert werden könnten. „Das ist eine flüchtlingspolitische Nullnummer. Da hat die SPD sich mit ihrem harten Kurs voll durchgesetzt“, so Ensslen.

Zu begrüßen ist es, wenn die zukünftige Migrationsbehörde den Auftrag erhält, die aufenthaltsrechtlichen Möglichkeiten im Sinne der Migrant_innen auszuschöpfen. Dass solche Selbstverständlichkeiten als ein Fortschritt anzusehen sind, zeugt aber von der Unmenschlichkeit, die in der Flüchtlingspolitik Einzug erhalten hat“, bedauert Ensslen.

Einzelheiten zum Koalitionsvertrag haben wir hier zusammengefasst:

Kein Landesaufnahmeprogramm für Hamburg (S. 182)
– Hamburg nimmt nur im Rahmen von Bundesprogrammen Geflüchtete auch über den Königsteiner Schlüssel hinaus auf,
– Hamburg wird sich an Resettlements beteiligen (S. 183).

Wir fordern ein eigenes humanitäres Landesaufnahmeprogramm für Hamburg.
Wir fordern die gezielte Aufnahme von Menschen aus den griechischen Lagern.

Kaum Verbesserungen im Ankunftszentrum (S. 182)
– Betrieb im Ankunftszentrum in Rahlstedt wird fortgesetzt,
– Aufenthaltsdauer soll nach Möglichkeit auf drei Monate begrenzt werden,
– Es soll eine Verbesserung der Unterbringungsbedingungen geprüft werden.

Wir fordern die Schließung des Ankunftszentrums bzw. die Umwidmung in eine dezentrale Unterbringung mit entzerrter Belegung.
Wir fordern die Unterbringung in abgeschlossenen Zimmern.
Wir fordern eine Verkürzung der Aufenthaltsdauer auf wenige Tage bis Wochen.

Abschiebungen (S. 182)
– Abschiebungen von Straftäter*innen und Gefährder*innen weiterhin auch nach Afghanistan,
– Die Rückführungseinrichtung am Flughafen Hamburg soll spätestens Ende 2022 geschlossen werden.
→ endlich! Der Vertrag über die Belegung der Abschiebehaft in Glückstadt bleibt allerdings.

Wir fordern einen Abschiebestopp, insbesondere in unsicherere Herkunftsländer wie Afghanistan und in den Irak.

Abschiebebeobachtungen (S. 182)
– Abschiebebeobachtungen sollen beibehalten werden.
– Abschiebebeobachtungen sollen einmal jährlich im Fachausschuss zur Selbstbefassung aufgerufen werden.
neu und besser als nichts… 

Hamburg als sicherer Hafen (S. 184)
Hamburg hält seine Bereitschaft aufrecht, aus Seenot Gerettete aufzunehmen.

Wir fordern die Unterzeichnung der Potsdamer Erklärung und die eigenständige Aufnahme. 

Hamburg als solidarische Stadt (S. 185)
Hamburg will Menschen ohne Papiere umfangreicher beraten, ohne zugleich Anreize zu bieten, sich illegal hier aufzuhalten.

Wir fordern u. a. anonyme Möglichkeiten der Unterbringung und der medizinischen Behandlung sowie eine Aufenthaltsperspektive für Menschen ohne Papiere. 

Migrationsbehörde (S. 184)
Die Ausländerbehörde wird zur Migrationsbehörde, insb. die ausländerrechtliche Beratung soll neu aufgestellt werden.

Wir fragen, was dieser neue Name inhaltlich Neues bringt und werden dies kritisch begleiten. 

Langzeitgeduldete (S. 184)
– Hamburg wird weiterhin Bemühungen unternehmen, um insb. Langzeitgeduldeten unter Ausschöpfung aller rechtlichen Spielräume ein stabile Aufenthaltsperspektive zu eröffnen,
– Duldungsfällen soll über eine Stichtagsregelung eine dauerhafte Perspektive gegeben werden.

fördern und wohnen
– soll gezielt durch Wohnungsneubau einen Beitrag zur Integration von vordringlich Wohnungssuchenden leisten (S. 28),
– wird ein Beschwerdemanagement einführen, wo bei Bedarf auch vertraulich beraten wird (S. 124).

Es fehlt: Einführung von Unterbringungsstandards, WLAN, Zusammenarbeit von Haupt- und Ehrenamt, verbesserte Verlegungsmöglichkeiten, Sauberkeit und Hygiene, Soziale Arbeit in den Unterkünften, Hilfe zur Selbsthilfe, Gebühren usw.

Fachkräfteeinwanderung
– Es wird eine gemeinsame Servicestelle von Innenbehörde, Sozialbehörde und Arbeitsagentur, das Hamburg Welcom Center for Professionals (HWCP), geschaffen,
– in diese neue Servicestelle wird das W.I.R. (Work and Integration for Refugees) integriert (S. 118),
– für bereits hier lebende Geflüchtete mit geringem Bildungsniveau soll ein Angebot geschaffen werden, um in Ausbildung und Arbeit zu kommen (S. 119);
– die Chancenduldung über berufliche Integration wird bekräftigt (also die einjährige Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis zur Kompetenzerweiterung über berufliche Integration) (S. 119).

Integration
– Es soll ein schnellerer Zugang zu Sprachkursen ermöglicht werden (S. 119),
– der Zugang zu Integrationskursen soll ausgeweitet werden (S. 120),
– es sollen zusätzliche Online-Angebote bereitgestellt werden (S. 120),
– die Einbürgerungsinitiative wird fortgesetzt (S. 120),
– Menschen mit Migrationshintergrund sollen sich an gesellschaftlichen und politischen Entscheidungen beteiligen können (S. 120),
– das Integrationskonzept wird fortgeschrieben (S. 120),
– der Integrationsbeirat soll gestärkt werden und unabhängiger agieren können (S. 120),
– die Förderung von Migrant*innenorganisationen (MO) soll ausgebaut werden,
– MO sollen sich bei Ausschreibungen im Bereich Regelförderung verstärkt angesprochen fühlen (S. 120),
– die Projektförderung von Tandems und die Beratung von MO sollen ausgebaut werden (S. 120),
– Gespräche mit der Volksinitiative „Hamburg für gute Integration“ sind notwendig, weil manche Standorte nicht wie geplant zum Ende der Laufzeit geschlossen werden können (S. 121),
– freiwilliges Engagement für Geflüchtete und das Forum Flüchtlingshilfe werden fortgesetzt (S. 121),
– das bisherige Angebot der Clearingstelle zur gesundheitlichen Versorgung von Menschen ohne Papiere soll ausgewertet und weiterentwickelt werden (S. 121),
– das psychotherapeutische und psychiatrische Angebot der Flüchtlingsambulanz soll gestärkt werden (S. 121).

Wohnungs- und Obdachlosigkeit
Zur Vermeidung von Wohnungslosigkeit werden die Fachstellen für Wohnungsnotfälle personell verstärkt (S. 124).

Ehrenamtliches Engagement (S. 122)
– Die Hamburger Engagementstrategie soll weiter umgesetzt werden,
– die Freiwilligenagenturen sollen gestärkt werden,
– die Freiwilligenkoordinator*innen in den Bezirksämtern sollen fest verankert werden,
– es soll ein Haus des Engagements als Kompetenzzentrum eingerichtet werden (konkret: in den Räumen des Museums für Hamburgische Geschichte sollen Räumlichkeiten für Arbeitsgruppen und größere Versammlungen genutzt werden können).

Wir fordern darüber hinaus ein kostenloses HVV-Ticket für ehrenamtlich Engagierte!

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