Offener Brief an den Senat: Ungleichbehandlung von Geflüchteten

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Hamburg, 30. April 2022
Nutzung der Unterkunft Große Horst/Am Anzuchtgarten nur für „ukrainische Geflüchtete“

Sehr geehrte Frau Senatorin Leonhard,
sehr geehrter Herr Senator Grote,

die Stadt hat unter der Federführung der Sozialbehörde eine Verlängerung der Nutzung der Unterkunft Große Horst/Am Anzuchtgarten in Klein Borstel bis zum 31.08.2023 vereinbart. Die Ausschöpfung zusätzlicher Unterbringungskapazitäten ist grundsätzlich zu begrüßen. Die Unterbringung wurde jedoch ausdrücklich „nur für ukrainische Geflüchtete“ vereinbart. Diese Vorgehensweise erschüttert mich zutiefst und ich schließe mich der Kritik des Bündnis Hamburger Flüchtlingsinitiativen aus dem beigefügten Schreiben vom 28.04.2022 an.

Die Unterbringung von Geflüchteten ist eine Aufgabe, deren Bewältigung uns als Gesellschaft die Menschenrechte auftragen. Es ist unsere Pflicht, ankommenden Menschen Schutz und ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen. Die Entscheidung, wo Geflüchtete leben sollen, darf nicht zum Spielball von Ängsten, Ressentiments oder taktischen Überlegungen verkommen. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an die menschenwürdigen Standards in keiner Weise entsprechende Unterkunft am Neuenfelder Fährdeich, in der nach wie vor auch Menschen mit Behinderungen trotz mehrfacher Verlegungsanträge unter völlig untragbaren Bedingungen untergebracht sind.
Eine derart ungleiche Behandlung von Geflüchteten, die sogar durch Vereinbarungen zementiert wird, ist daher gefährlich. Sie unterteilt die Personen, die unseren Schutz suchen, in gute und schlechte Geflüchtete. Anstelle dies abzubauen, werden so Vorurteile noch verstärkt.

Die Verteilung von Geflüchteten, ausgestaltet als „Wunschkonzert“ einzelner Interessenvertretungen, ist zudem mit einem rechtmäßigen Verwaltungsverfahren, insbesondere mit dem Gleichheitsgrundsatz aus Artikel 3 Grundgesetz, nicht vereinbar. Es stellt sich nicht erst aktuell die Frage, nach welchen Kriterien die Auswahl erfolgen soll,
welcher Stadtteil oder welche Nachbarschaft für Geflüchtete welcher Herkunftsländer geeignet sind. Schon lange wird kritisiert, dass es in Hamburg keine Standards für die Unterbringung gibt.

Im Umgang mit den Kriegsgeflüchteten aus der Ukraine freue ich mich über die großartige Unterstützungsbereitschaft in dieser Stadt. Gleichzeitig häufen sich die Fälle, in denen auch in anderen Bereichen eine untragbare Ungleichbehandlung deutlich wird. Ein Blick auf den Eingangsbereich der Ausländerbehörden offenbart schnell, wer in der Schlange stehen muss und wessen Angelegenheit zügig bearbeitet wird. Das Registrierungsverfahren für ukrainische Staatsangehörige funktioniert mittlerweile nahezu einwandfrei, während Drittstaatenangehörige davon berichten, dass sie weggeschickt oder von Amt zu Amt verwiesen werden. Dringliche Aufenthaltsangelegenheiten von Antragstellenden ohne Ukrainebezug werden scheinbar so gut wie gar nicht bearbeitet. Diese Geflüchteten stellen voller Bitterkeit fest, dass sie über Jahre hinweg im unsicheren Aufenthalt oft ohne Zugang zu Integrationskursen, Beschäftigungserlaubnis und Anerkennung ihrer Abschlüsse verharren mussten bzw. müssen, während bei Ukrainer:innen alles ganz schnell und vergleichsweise unkompliziert geht.

Ich fordere Sie daher auf, ganz konkret die Nutzung der Unterkunft Große Horst/Am Anzuchtgarten in Klein Borstel sowie künftige Nutzungsvereinbarungen in verfassungskonformer Weise auszugestalten und Ihrer Verantwortung gerecht zu werden, Ungleichbehandlungen von Geflüchteten, wo immer dies in den Händen Hamburgs liegt, entgegenzuwirken.

Freundliche Grüße

Dr. Carola Ensslen, MdHB

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